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e:2.16 Digitale Geschäftsakten

Geschäftsakten können mit «revisionssicheren» Informatiksystemen gesetzeskonform digital aufbewahrt werden. Mit dem Einscannen einer schriftlichen Urkunde reduziert sich jedoch deren Beweiswert. Wichtige Dokumente sind deshalb weiterhin physisch im Original aufzubewahren.

Digitale Urkunden

Urkunden sind Schriften oder Zeichen, welche Tatsachen von rechtlicher Bedeutung beweisen. Sie haben in unserem Wirtschafts- und Rechtssystem eine entscheidende Bedeutung. Zahlreiche Rechtsnormen, Branchenstandards und die allgemeine Sorgfaltspflicht verlangen von den wirtschaftlichen Akteuren, ihr Handeln zu dokumentieren. Urkunden sind strafrechtlich geschützt (Art. 251 StGB). 

Heute existiert die überwiegende Mehrheit der Informationen nicht mehr in physischer, sondern in elektronischer (digitaler) Form. Dieser Trend wird sich weiter verstärken, bis es in nicht allzu ferner Zukunft praktisch nur noch digitale Urkunden geben wird. 

Elektronische Aufbewahrung der Geschäftsbücher

Geschäftsbücher und Buchungsbelege können elektronisch aufbewahrt werden. Nur für den Geschäfts- und den Revisionsbericht ist die Aufbewahrung in Papierform gesetzlich vorgeschrieben. Die Anforderungen an die elektronische Aufbewahrung sind in der Geschäftsbücherverordnung (GeBüV) beschrieben. Es müssen anerkannte und dokumentierte Verfahren verwendet werden. Bei der Speicherung von Daten auf veränderbaren Datenträgern müssen digitale Signaturverfahren angewendet werden, welche die Integrität der gespeicherten Informationen gewährleisten und den Zeitpunkt der Speicherung nachweisen können (Zeitstempel). Eine diesen Kriterien entsprechende Aufbewahrung wird als «revisionssicher» bezeichnet. 

Heute sind zahlreiche Unternehmen zur digitalen Aktenführung übergegangen. Dies gilt sowohl für Urkunden, die schon als digitale Urkunden geschaffen werden (z.B. E-Mails), als auch für ursprünglich in Schriftform erschaffene Urkunden, die später durch Scanning in die elektronische Form gebracht werden.

Beweiswert digitaler Urkunden

Auch mit digitalen Urkunden lässt sich Beweis führen (Art. 177 ZPO). Es stellt sich aber die Frage, wie beweiskräftig digitale Urkunden im Vergleich zu herkömmlichen schriftlichen Urkunden sind. Mit anderen Worten: Was ist ihr Beweiswert? Illustrativ ist dazu der folgende Entscheid des Schweizerischen Bundesgerichts (BGer 9C_634/2014, Urteil vom 31. August 2015).

Ein zwielichtiger Berater hat sich durch raffinierte Machenschaften die Pensionskassengelder von italienischen Arbeitnehmern angeeignet. Zu diesem Zweck hat er deren Freizügigkeitsguthaben auf ein von ihm verwaltetes Konto auszahlen lassen. Dies geschah auch im Fall einer im Jahr 1944 geborenen Arbeitnehmerin. Diese klagte in der Folge gegen die Personalvorsorgestiftung auf Ausrichtung einer Rente. Sie behauptete, die Vollmacht, welche der Berater der Personalvorsorgestiftung vorgelegt hatte, sei nicht von ihr unterzeichnet worden. Das vorinstanzliche Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ordnete ein Schriftgutachten an. Es forderte die Arbeitnehmerin auf, eigenhändige Originalunterschriften aus der fraglichen Zeitperiode einzureichen, was diese auch tat. Von der Personalvorsorgestiftung wurde die Einreichung des Originals der Vollmacht verlangt. Dieses Original konnte sie aber nicht vorlegen, weil sie ihre Geschäftsunterlagen seit geraumer Zeit nur noch elektronisch aufbewahrt. Die Vorinstanz hiess die Klage der Arbeitnehmerin auf Ausrichtung einer Rente gut, da die Personalvorsorgestiftung beweisen müsse, dass die Auszahlung des Freizügigkeitsguthabens rechtmässig erfolgt sei. Diesen Beweis aber konnte sie ohne den Besitz des Originals nicht mehr führen.

Um den Beweiswert einer Urkunde zu zerstören, genügt es aber nicht, bloss pauschal die Fälschung zu behaupten. Vielmehr sind die besonderen Umstände darzulegen, weshalb im konkreten Fall von einer Fälschung ausgegangen wird (Art. 178 ZPO). Fälle, bei denen der Prozessausgang einzig vom gelungenen oder misslungenen Echtheitsbeweis einer Urkunde abhängt, sind deshalb selten. Häufig liegen Begleitumstände vor, die Rückschlüsse auf die Echtheit zulassen. Was bedeutet dies nun im geschäftlichen Alltag für die Beweiskraft digital aufbewahrter Verträge und Geschäftskorrespondenz?

Verträge

Ausserhalb des Bereichs des E-Commerce werden Verträge von einer gewissen Bedeutung immer noch in schriftlicher Form abgeschlossen, wozu auch der Austausch einer schriftlichen Offerte gezählt wird. Zur Erinnerung: Schriftlichkeit im Sinne des Gesetzes (Art. 13 und 14 OR) liegt nur vor, wenn ein physisches Dokument eigenhändig unterschrieben ist. Eine Computer-Urkunde gilt dann als schriftlich, wenn sie mit einem qualifizierten Zertifikat digital signiert ist, wobei diese qualifizierte digitale Signatur bisher keine praktische Bedeutung erlangt hat.

Verträgen gehen häufig Vertragsverhandlungen voraus (z.B. Zustellung einer Offerte, Austausch von E-Mails über den wesentlichen Vertragsinhalt), welche bei einem Fälschungsvorwurf zum Echtheitsnachweis beigezogen werden können. Praktisch aussichtslos ist der Fälschungsvorwurf, wenn die ihn vorbringende Partei bereits Erfüllungshandlungen vorgenommen hat. 

Geschäftskorrespondenz 

Geschäftliche Korrespondenz erfolgt heute weitestgehend über E-Mail. Briefe werden nur noch selten verschickt (z.B. bei formellen Abmahnungen oder Kündigungen oder wenn dies zur Erfüllung der Schriftform notwendig ist). 

Auch E-Mails stellen Urkunden dar. Dies gilt unabhängig davon, ob eine E-Mail in ausgedruckter Form oder als Computer-Urkunde vorliegt. Es ist auch nicht erforderlich, dass eine E-Mail digital signiert ist. Dies hielt das Bundesgericht im Zusammenhang mit einem Betrugsfall der Nigeria-Connection fest (BGer 6B_130/2012, Urteil vom 22. Oktober 2012). Der Täter hatte im Rahmen seiner betrügerischen Täuschungshandlungen E-Mails von Drittpersonen abgeändert und zu Beweiszwecken an die Opfer weitergeleitet.

Bislang haben sich die Gerichte noch nicht dazu geäussert, wie bei E-Mails dem Fälschungsvorwurf zu begegnen ist. Es ist denkbar, dass der Beweiswert solcher E-Mails reduziert ist, da die Fälschung von E-Mails einfach ist. Interessant wird auch sein, ob sich die Gerichte auf lange Sicht damit begnügen, dass ihnen E-Mails bloss in ausgedruckter Form vorgelegt werden. Ein Ausdruck ist nur eine Wiedergabe der ursprünglichen elektronischen Form, in welcher eine E-Mail geschaffen wird.

Auf der anderen Seite haben E-Mails gegenüber physischen Urkunden auch einen Vorteil, weil sich deren Empfang einfacher nachweisen lässt, selbst wenn keine zertifizierten Signaturverfahren eingesetzt werden. Zum einen kann beim Versenden die Option Empfangsbestätigung gewählt werden. Zum anderen wird im E-Mailverkehr vom Empfänger häufig die Antwortfunktion verwendet, wodurch der Ursprungstext zusammen mit der Antwort an den ersten Absender zurückgeschickt wird. Solche E-Mail-Ketten bilden den Beweis für den Empfang der darin enthaltenen einzelnen E-Mails.

Eingescannte Unterlagen

Beim Einscannen physischer Unterlagen erfolgt ein Medienbruch. Dies reduziert den Beweiswert eingescannter Dokumente in den Augen des Bundesgerichts, weil sich nicht nachweisen lasse, dass das Original unverändert im eingescannten Dokument wiedergegeben wird (BGer 9C_634/2014, Urteil vom 31. August 2015). Mit der Technischen Richtlinie 03138 «rechtssicheres ersetzendes Scannen» (TR-RESISCAN) des deutschen Bundesamtes für Informationstechnik (BSI) existiert jedoch ein Quasistandard zum ersetzenden Scannen, der die technischen, personellen und organisatorischen Anforderungen an den Scanprozess definiert. Wer diese Richtlinie einhält, schafft gute Voraussetzungen dafür, dass die eingescannten Urkunden beweiskräftig sind.

Digitalisierungsprojekte

Entscheidet ein Unternehmen über die Digitalisierung von Geschäftsunterlagen, so ist der eingeschränkte Beweiswert digitaler Urkunden in die Abwägungen einzubeziehen. Deswegen aber vollständig auf die Digitalisierung zu verzichten, wäre ein Fehlschluss. Häufig wiegen die durch die Digitalisierung gewonnenen Vorteile (Platzersparnis, jederzeitige Verfügbarkeit) die Beweisrisiken auf, insbesondere bei Beachtung unserer Empfehlungen. 

Fazit

  1. Auch digitale Informationen können Urkunden sein.
  2. Bei der digitalen Aufbewahrung von Geschäftsakten sind die Vorschriften der GeBüV einzuhalten. Die eingesetzte Informatiklösung muss revisionssicher sein.
  3. Werden im Rahmen eines Digitalisierungsprojektes Urkunden eingescannt, müssen anerkannte technische Standards beachtet werden (z.B. TR-RESISCAN des deutschen BSI).
  4. Wichtige Dokumente sind auch nach dem Einscannen weiterhin im Original aufzubewahren
Urs Egli