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e:2.20 Das Coronavirus in Bauprojekten

Das Ausmass der Folgen von SARS-CoV-2 bzw. COVID-19 ist noch ungewiss. Sicher ist, dass auch die Schweizer Baubranche be­troffen sein wird. Dieser Fokus gibt erste Anhaltspunk­te zu ausgewählten Aspekten hinsichtlich der zu erwartenden Verzögerungen.

Unmöglichkeit oder Verzögerung?

In Bauwerkverträgen werden oft verzugsbegründende Termine vereinbart. Dennoch wird sich die Frage der Unmöglichkeit der Vertragserfüllung im Zusammenhang mit COVID-19 nach unserer Einschätzung hierzu selten stellen. Infolge COVID-19 sind Fälle verzögerter Vertragserfüllung zu erwarten. Zentral wird die Frage sein, unter welchen Voraussetzungen Folgen von COVID-19 Unternehmern Recht auf «mehr Zeit» gewähren und wer die Mehrkosten trägt.

Dies hängt vom Vertragswortlaut und von den konkreten Umständen ab. Nebst einem Kausalzusammenhang zwischen Ursache und Auswirkung ist dazu praktisch immer vorausgesetzt, dass der Unternehmer seiner Anzeigepflicht nachkommt.

Obligationenrecht (OR)

Entspricht der Vertrag den dispositiven Regeln, gerät der Unternehmer bei pflichtwidrig verspäteter Ablieferung nach Art. 103 OR in Verzug. Er haftet dann grundsätzlich für Zufall.

Art. 365 Abs. 3 OR statuiert die Anzeigepflicht hinsichtlich aller Umstände, die eine gehörige oder nicht rechtzeitige Erfüllung gefährden. Bereits die Unterlassung einer Anzeige kann zum Verzug führen. Falls keine objektive Pflichtwidrigkeit vorliegt, gerät der Unternehmer nicht in Verzug.

Gerät der Unternehmer infolge einer Pflichtwidrigkeit in Verzug, bleibt ihm die Möglichkeit, einen Entlastungsbeweis anzutreten (Art. 97 Abs. 1 OR). Dabei hat er nachzuweisen, dass die Verspätung ohne ein Verschulden in seiner Risikosphäre eingetreten ist oder ein zufälliges Ereignis den entstandenen Nachteil beim Besteller auch bei rechtzeitiger Erfüllung verursacht hätte.

Misslingt dieser Nachweis, wird der Unternehmer für den Verzugsschaden haftbar. Der Entlastungsnachweis setzt entsprechende Beweise voraus. Liegt eine Pflichtverletzung vor, so ist eine komplette Entlastung nicht anzunehmen.

Norm SIA 118

Ist die Norm SIA 118 anwendbar, gewährt Art. 96 Abs. 1 bei Verzögerungen Anspruch auf Fristerstreckung, sofern den Unternehmer kein Verschulden trifft und er die «zumutbaren» Massnahmen zur Einhaltung der Termine getroffen hat. Die Erstreckung muss unter Berücksichtigung der Umstände verhältnismässig sein.

In Art. 95 der Norm wird zwischen «zumutbaren» und denjenigen Massnahmen unterschieden, welche nur gegen zusätzliche Vergütung und nur auf ausdrückliches Verlangen des Bestellers auszuführen sind.

Dabei ist relevant, in wessen Verantwortungsbereich die Ursache für das Erfordernis der Massnahme zuzuordnen ist. Unverschuldet erforderliche Beschleunigungsmassnamen können nicht einseitig angeordnet werden.

Die Ursache der Verzögerung ist unverzüglich (nachweisbar) anzuzeigen. (z.B. E-Mail mit individueller Empfangsbestätigung, schriftlich genehmigtes Protokoll, Einschreiben, etc.).

Rechtfertigung, Exkulpation oder Fristerstreckung

Entlastung nach OR bzw. Fristerstreckung nach Norm SIA 118 unterscheiden sich hinsichtlich Risikoexposition und Rechtsfolgen, das Ziel ist aber ähnlich. Der Unternehmer soll (zumindest nicht immer) haften, wenn er keine Pflicht verletzt hat und eine Verzögerung nicht zu vertreten hat.

  • Soweit behördliche Anordnungen zu einer Verzögerung führen, besteht das Recht auf «mehr Zeit». Z.B. können Massnahmen in Italien so zu Ansprüchen von Unternehmern führen, falls dadurch Arbeitnehmer nicht eingesetzt werden können.
  • Unter Umständen ordnen Besteller Massnahmen an, die über die behördlichen Vorschriften und Empfehlungen hinausgehen. Das ist aufgrund des Weisungsrechts zulässig, kann aber terminliche und finanzielle Auswirkungen haben.
  • Übliche Krankheitsausfälle gewähren keinen Anspruch auf «mehr Zeit». Nur für den Teil der Verzögerung, mit welcher nicht gerechnet werden muss, kann ein Rechtfertigungsgrund bzw. Fristerstreckungsanspruch bestehen.
  • Auch wenn Komponenten zeitweise gar nicht oder nur zu massiv höheren Kosten beschafft werden können, bleibt die Leistungspflicht des Unternehmers grundsätzlich bestehen. Wenn aber hinsichtlich eines massgeblichen Leistungsteils eine massive Preissteigerung resultiert, kann dies zu einem Rechtfertigungsgrund bzw. zu einem Fristerstreckungsanspruch (und/oder allenfalls zu einem Anspruch auf Anpassung der Vergütung) führen.

Konventionalstrafen

Soweit an Termine Konventionalstrafen geknüpft sind, werden diese fällig, ohne dass dem Besteller ein Schaden entsteht. Ob sie ein Verschulden des Unternehmers voraussetzen, hängt von der diesbezüglich vereinbarten Formulierung ab.

Eine Konventionalstrafe kann gemäss Art. 163 Abs. 2 OR nicht gefordert werden, wenn die Erfüllung durch einen nicht durch den Schuldner zu vertretenden Umstand unmöglich wurde.

Unmöglichkeit in diesem Sinn wird jedoch im vorliegenden Zusammenhang kaum anzunehmen sein. Art. 98 Abs. 2 Norm SIA 118 verweist hinsichtlich der Fälligkeit auf das Besehen von Fristerstreckungsansprüchen.

Hilfspersonen

Der Unternehmer haftet für seine Subunternehmer und Erfüllungsgehilfen, wobei Zulieferanten nach dispositivem Recht nicht unter die Hilfspersonenhaftung nach Art. 101 OR fallen. Diese Unterscheidung kann bei einem Exkulpationsnachweis hinsichtlich eines Verschuldens des Zulieferanten relevant sein. Die Leistungen von Zulieferanten sind grundsätzlich (aber nicht immer) der Risikosphäre des Unternehmers zuzuordnen. Ein Teil der KBOB-Musterverträge sieht vor, dass auch Zulieferanten als Hilfspersonen gelten.

Anzeigepflichten

Eine Verletzung von Anzeigepflichten kann zu einer Schadenersatzpflicht führen. Ursachen und die konkreten Auswirkungen sind (soweit bereits möglich) unverzüglich anzuzeigen.

Bei Ansprüchen gemäss Norm SIA 118 Art. 96 droht Verwirkung allfälliger Fristerstreckungsansprüche, falls die Anzeige nicht rechtzeitig erfolgt. Gemäss Norm gilt dies hinsichtlich aller Umstände, die dem Besteller nicht nachweislich bekannt sind.

Rücktrittsrechte

Rücktrittsrechte können verschuldensunabhängig bestehen. Der Eingriff ist schwerwiegend, verschiedene Voraussetzungen müssen erfüllt sein. Eine detaillierte Erörterung des Rücktritts würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. 

Unternehmer und Besteller sind gut beraten, eine offene und unverzügliche Kommunikation anzustreben. Dies nicht zuletzt im Hinblick auf die beidseitig bestehende allgemeine Schadenminderungspflicht.

Force Majeure?

Ob COVID-19 im Einzelfall als höhere Gewalt zu qualifizieren ist, hängt vom jeweils in Frage stehenden Vertrag und der dort konkret gewählten Formulierung ab. 

Höhere Gewalt wird im OR nur punktuell und ohne eine klare Definition erwähnt. Darunter wird im vorliegenden Kontext ein Unterfall des Zufalls verstanden, der im Rahmen des Entlastungsbeweises zum Entfall der kausalen Erfolgshaftung des Unternehmers führen kann.

Sofern im betroffenen Vertrag keine anderslautende Formulierung aufgenommen ist, gilt dazu allgemein, dass das zugrunde liegende Ereignis unvorhersehbar, nicht abwendbar und ausserhalb des Einflussbereichs des Unternehmers liegen muss.

Wie gross genau das Ausmass der Auswirkungen der Ereignisse sein muss, um höhere Gewalt annehmen zu können, lässt sich nicht allgemein bestimmen. Sicher ist, dass die Auswirkungen von COVID-19 in der Schweiz nicht immer als höhere Gewalt zu qualifizieren sein werden.

Falls die Voraussetzungen höherer Gewalt gegeben sind, ist durch Vertragsauslegung zu klären, welche Rechte daraus abgeleitet werden können (Frist- bzw. Terminerstreckung, Kündigungsrecht, Sistierung, Entfall der Haftung für Schadenersatz oder Anpassung der Vergütung).

Fazit

  • Die Bedeutung der Anzeigepflicht und der Dokumentation der Fakten ist sehr gross. 
  • Für Unternehmer ist die Ausgangslage im Fall erheblicher Auswirkungen von COVID-19 aufgrund der vertraglichen Risikoallokation und der Nachweispflichten anspruchsvoll. 
  • Bei Anwendbarkeit der Norm SIA 118 besteht (bei unverschuldeter Verzögerung) ein klarer geregelter Anspruch auf Fristerstreckung. Bei Verträgen nach OR können Rechtfertigungs- oder Exkulpationsgründe vorliegen. 
  • Es liegt im Interesse beider Parteien, bei Problemen Alternativen zu suchen. Der Unternehmer ist gut beraten, aktiv zu handeln.
  • Bei Berufung auf höhere Gewalt sind die Rechtsfolgen abhängig vom betroffenen Vertragswortlaut und häufiger ungewiss. Wir empfehlen diesen Ansatz nur als Rückfallposition.
  • Falls ein Vertrag infolge von COVID-19 zu unsachgerechten Ergebnissen führt, empfehlen wir, einvernehmlich nach einer angemessenen Lösung zu suchen.