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e:2.22 Ersatzvornahme im Werkvertragsrecht - ein anspruchsvolles Rechtsinstrument

Die werkvertragliche Ersatzvornahme bezweckt, dem Besteller gegenüber dem Unternehmer, der seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht nachkommt, die Durchsetzung berechtigter Ansprüche zu erleichtern. Eine gerichtliche Klärung der Rechtslage, bevor die Ersatzvornahme ausgeführt wird, scheitert oft am hohen Zeitbedarf. Rückforderungen, der durch eine Ersatzvornahme verursachten Kosten, sind oft mit hohen Risiken verbunden. Unternehmer sehen sich dagegen in diesem Zusammenhang zum Teil mit Forderungen konfrontiert, für welche die Voraussetzungen nicht erfüllt waren. 

Sonderregelung im Werkvertragsrecht

Im Rahmen von Leistungsklagen kann ein Gläubiger für den Fall, dass ein eingeklagter Anspruch nicht erfüllt wird, auch bei anderen Vertragstypen als dem Werkvertrag den Antrag auf Ermächtigung zur Ersatzvornahme stellen (Art. 98 Abs. 1 OR). Die Ersatzvornahme berechtigt den Gläubiger, die geschuldete Leistung von einem Dritten auf Kosten und Gefahr des Schuldners vorzunehmen. Das Werkvertragsrecht enthält dazu eine spezielle Bestimmung, welche unter bestimmten Voraussetzungen die Umsetzung einer Ersatzvornahme ohne vorgängige richterliche Ermächtigung erlaubt. Nachfolgend wird auf die Anwendung und Problembereiche der werkvertraglichen Ersatzvornahme eingegangen.

Verhinderung oder Beseitigung einer mangelhaften Ausführung des Werks durch Selbsthilfe (Art. 366 Abs. 2 OR)

Ist während der Ausführung werkvertraglicher Leistungen bestimmt vorauszusehen, dass der Unternehmer das Werk mangelhaft oder sonst vertragswidrig erstellt, sieht das Gesetz das Recht des Bestellers zur «Selbsthilfe» gegenüber dem Unternehmer vor (Art. 366 Abs. 2 OR). Dabei handelt es sich um eine Abweichung gegenüber dem allgemeinen Teil des Obligationenrechts. Bei erfüllten Voraussetzungen kann der Besteller die Ausführung des Werks gestützt darauf auf Kosten und Gefahr zulasten des Unternehmers auf einen Dritten übertragen. Dieses Recht steht gegebenenfalls auch einem Unternehmer zu, wenn er als Besteller einen Subunternehmer mit der (teilweisen) Werkausführung beauftragt hat.

Der Besteller (meist der Bauherr) hat Anspruch auf den Ersatz sämtlicher Kosten, die ihm durch die Ersatzvornahme entstehen. Muss der Bauherr bspw. einen Berater für die Ersatzvornahme beiziehen, weil ihm das Spezialwissen des ursprünglich beauftragten Unternehmers fehlt, sind auch diese Kosten von der Ersatzvornahme gedeckt. Fallen dem Bauherrn zudem Kosten infolge einer mangelhaften Ausführung des Drittunternehmers an, hat der ursprünglich beauftragte Unternehmer auch für diese Kosten aufzukommen, da er auch dafür die Gefahr trägt.

Der Unternehmer kann u.a. nicht einwenden, die Ersatzvornahme habe höhere Kosten verursacht, als die vertragsgemässe Ausführung durch ihn selbst verursacht hätte. Das Risiko des Bauherrn beschränkt sich auf ein sorgfältiges Vorgehen (Wahl und Instruktion des Ersatzunternehmers, Pflicht zur Schadenminderung). Neben dem Kostenersatz der Ersatzvornahme kann der Besteller Anspruch auf Schadenersatz haben (z.B. Ersatz des Verspätungsschadens bei Verzögerungen infolge der Ersatzvornahme).

In analoger Anwendung von Art. 366 Abs. 2 OR kann nach erfolglos angesetzter Nachfrist zur Nachbesserung die Ersatzvornahme auch nach der Abnahme des Werks geltend gemacht werden (vergleiche diesbezüglich auch Norm SIA 118 Art. 169 Abs. 1 Ziff. 1).

Voraussetzungen der Ersatzvornahme

Drei Voraussetzungen müssen nach Art. 366 Abs. 2 OR vorliegen, damit das Recht zur Ersatzvornahme besteht:

  • Die mangelhafte oder sonst vertragswidrige Erstellung des Werks muss sich während der Ausführung bestimmt voraussehen lassen. Der Unternehmer hat mit den Vertragsarbeiten begonnen und diese dürfen noch nicht vollendet sein. Die Gerichte lassen die Ersatzvornahme auch vor Ausführungsbeginn zu, sofern die vertragswidrige Erstellung bestimmt voraussehbar ist. Die Voraussehbarkeit muss bei objektiver vernünftiger Betrachtung vorliegen. Ängste oder Befürchtungen des Bestellers genügen dazu nicht. Obwohl Gewissheit nicht vorausgesetzt wird, führt dies oft zu Unsicherheiten. Das Kriterium kann erfüllt sein, wenn bei einer Zwischenprüfung nicht korrigierbare Vertragsabweichungen erkannt werden. Ob eine «sonst vertragswidrige» Ausführung vorliegt, hängt von den vertraglichen Vereinbarungen ab. Der nicht bewilligte Beizug eines Subunternehmers, obwohl der Vertrag die Erstellung durch den Unternehmer selbst explizit vorschreibt oder die Wahl eines massgeblich anderen Erstellungsablaufs als im Werkvertrag vorgeschrieben (z.B. mit gravierenden Auswirkungen auf Nebenunternehmer und ihre Gewerke), kann dazu führen, dass die Voraussetzungen einer Ersatzvornahme erfüllt sind.
  • Zusätzlich verlangt das Gesetz, dass den Unternehmer an der vertragswidrigen Ausführung ein Verschulden trifft. Da dies eine Verschärfung gegenüber der allgemeinen Ersatzvornahme darstellen würde (Art. 98 Abs. 1 OR), legt die Rechtsprechung in ständiger Praxis dieses Kriterium nicht wörtlich aus. Es genügt deshalb in Anlehnung an die verschuldensunabhängige Mängelhaftung, dass den Besteller keine Verantwortung für die vertragswidrige Erstellung, bzw. kein Selbstverschulden, trifft.
  • Der Besteller muss dem Unternehmer eine angemessene Frist zur Abhilfe ansetzen, verbunden mit der ausdrücklichen Androhung der Ersatzvornahme. Der Unternehmer muss damit rechnen, dass der Besteller nach unbenutzt abgelaufener Frist auf seine Gefahr und Kosten die Arbeiten einem Dritten überträgt oder selbst ausführt. Diese Regelung bezweckt rasch handeln zu können bspw. zur Schadenminderung. Ob die Frist angemessen ist, hängt von den konkreten Umständen ab. Ein versierter Unternehmer muss genügend Zeit haben, die nötigen Massnahmen in die Wege zu leiten. Wird eine zu kurze Frist angesetzt, muss der Unternehmer unverzüglich dagegen protestieren, da ansonsten die (zu kurze) Frist als angemessen gilt und er später keine entsprechenden Einwendungen mehr vorbringen kann.

Rechtsfolgen: Anspruch auf Kostenersatz

Sind die Voraussetzungen erfüllt, ist der Besteller zur Ersatzvornahme berechtigt und er kann die Nachbesserung oder Fortführung des Werks auf Kosten und Gefahr des Unternehmers vornehmen. Im Gegenzug entfällt das Recht des Unternehmers, das Werk gegen den Willen des Bestellers fortzuführen. Der Besteller hat Anspruch auf Kostenersatz durch den Unternehmer und er ist berechtigt, seinen Anspruch mit der (Vergütungs-)Forderung des Unternehmers zu verrechnen (Art. 120 OR). 

Bevorschussung der Ersatzvornahme

Der Besteller ist berechtigt, vom Unternehmer die Bevorschussung der mutmasslichen Kosten gerichtlich vor der Umsetzung einzufordern. Dies hat den Vorteil, dass das Gericht vor der Ausführung der Ersatzvornahme verbindlich darüber entscheidet, ob die Voraussetzungen zur Ersatzvornahme als Grundlage der Vorschusspflicht vorliegen. Der zugesprochene Vorschuss darf ausschliesslich zur Finanzierung der Ersatzvornahme verwendet werden (Zweckgebundenheit). Über die Verwendung des Vorschusses muss der Besteller abrechnen und einen allfälligen Überschuss dem Unternehmer zurückerstatten. Falls der Vorschuss nicht ausreicht, besteht die Möglichkeit, die zusätzlichen Kosten einzufordern (Nachschusspflicht). Nimmt der Besteller die Nachbesserung (Ersatzvornahme) nicht innert angemessener Frist vor, hat er dem Unternehmer den Vorschuss zurückzuerstatten. Da der Vorschuss zweckgebunden ist, hat weder der Unternehmer noch der Besteller das Recht, die Vorschussleistung mit einer anderen Forderung der Gegenpartei zu verrechnen. 

Nachteil der Bevorschussung ist der hohe Zeitbedarf für das gerichtliche Verfahren, insb. bei Gutachten. Das führt dazu, dass die bevorschusste Ersatzvornahme selten zur Anwendung kommt, insbesondere wenn keine abstrakte Sicherheitsleistung durch einen Dritten vereinbart ist (Art. 111 OR).

Problematik Beweissicherung

Leitet der Besteller bspw. zur Schadenminderung gegenüber dem säumigen Unternehmer die Ersatzvornahme der Nachbesserung ohne richterliche Ermächtigung in die Wege, geht dies oft mit der Vernichtung von Beweisen einher. Kommt es später zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung über die Kosten, kann dadurch z.B. der Nachweis, dass die Voraussetzungen der Ersatzvornahme, wie die Mangelhaftigkeit des Werks, erschwert oder verunmöglicht sein. Selbst das eher rasche Verfahren der vorsorglichen gerichtlichen Beweissicherung beansprucht oft Monate bis Jahre. Ohne vorsorgliche Beweissicherung ist das Risiko häufig gross, dass der Besteller die Rückforderung seiner Aufwendungen im Zusammenhang mit der Ersatzvornahme gerichtlich nicht durchsetzen kann.

Spezialfälle zu 366 II OR

  • In Ausnahmefällen kann das Ansetzen einer Frist unterbleiben, wenn bspw. die Unfähigkeit des Unternehmers offensichtlich ist oder dieser sich nachweislich weigert, das Werk vertragsgemäss auszuführen.
  • Ist die Ersatzvornahme für den Besteller unzumutbar, oder lässt sie sich objektiv nicht realisieren, weil mit der Ausführung durch einen Dritten dem Besteller nicht gedient ist (z.B. bei Personenbezogenheit), ist unter Umständen ein Vertragsrücktritt i.S. von Art. 366 Abs. 1 OR zulässig.
  • Sind die Kosten für die Nachbesserung unverhältnismässig hoch (und erklärt sich der Besteller bei einer entsprechenden Einwendung des Unternehmers nicht bereit, die Differenz «bis zur Grenze der Verhältnismässigkeit» selbst zu tragen), entfällt das Recht zur Ersatzvornahme. Das gleiche gilt, wenn der Besteller eine Vertragsabweichung selbst verschuldet hat.

Ersatzvornahme mit richterlicher Ermächtigung (Art. 98 Abs. 1 OR)

Wie vorstehend erwähnt wurde, hat der Besteller nebst der «Selbsthilfe» die Möglichkeit, sich vom Richter gestützt auf Art. 98 Abs. 1 OR zur Ersatzvornahme ermächtigen zu lassen (sog. Realvollstreckung). Damit der Richter den Besteller zur Ersatzvornahme ermächtigt, muss zuerst gerichtlich die Leistungspflicht des Unternehmers festgestellt werden. Die Vornahme der Ersatzvornahme erfolgt weitgehend analog der werkvertraglichen Ersatzvornahme. 

Fazit

Aus Sicht Besteller:

  • Zeichnet sich eine vertragswidrige Ausführung ab, sind frühzeitig Massnahmen zur Beweissicherung zu treffen. Es ist zu prüfen, ob ein Rückbehalt des Werklohns zulässig ist, sodass die Kosten verrechnet werden können.
  • Art. 366 Abs. 2 OR gibt dem Besteller zwar die Möglichkeit im Fall eines säumigen Unternehmers rasch zu handeln, birgt aber oft grosse Risiken wie die erschwerte oder verunmöglichte Beweissicherung (Beweisvernichtung).
  • Die vom Richter angeordnete oder durch gerichtliches Urteil bevorschusste Ersatzvornahme hat den Vorteil, dass die Rechtslage vor der Ausführung der Ersatzvornahme geklärt ist, sie scheitert aber oft am hohen Zeitbedarf.

Aus Sicht Unternehmer:

  • Ohne zutreffenden Grund behauptete oder selbstverschuldete Vertragsabweichungen sowie zu kurz angesetzte Fristen sind umgehend schriftlich zurückzuweisen.
  • Bis zur Werksübergabe hat der Unternehmer (ohne eine anderslautende Vereinbarung) grundsätzlich das Recht, selbst zu entscheiden, wann und wie er Vertragsabweichungen korrigiert.
  • Verursacht der Besteller im Rahmen der Ersatzvornahme übermässige Kosten, sind diese mit Verweis auf die Schadenminderungspflicht zu bestreiten.