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e:3.22 Revision des Aktienrechts

Am 1. Januar 2023 tritt eine umfassende Revision des schweizerischen Aktienrechts in Kraft. Für die Praxis relevant sind insbesondere die neuen Bestimmungen über flexiblere Gründungs- und Kapitalvorschriften, betreffend die Verbesserung der Corporate Governance durch Stärkung von Aktionärs- und Minderheitsrechten sowie die Angleichung des Aktienrechts an das Rechnungslegungsrecht. Für viele Schweizer Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung dürfte die Revision Anlass sein, ihre Statuten und ihr Organisationsreglement zu überprüfen und eingespielte Mechanismen betreffend Corporate Housekeeping gegebenenfalls zu aktualisieren. Ausserdem sollten sich Verwaltungsräte mit ihren aktualisierten Pflichten auseinandersetzen. Mit diesem Fokus beleuchten wir die wichtigsten Änderungen.

Flexiblere Bestimmungen zum Aktienkapital

Mit der Revision wird der bisherige Mindestnennwert von Aktien von einem Rappen (CHF 0.01) aufgehoben. Zukünftig ist jeder Nennwert, der grösser als null ist, zulässig, was die Teilung von Aktien wesentlich erleichtern wird. Diese Neuerung dürfte gerade in der Start-up- und Venture Capital-Industrie Anklang finden. 

Das Aktienkapital darf neuerdings auch in einer für die Geschäftstätigkeit wesentlichen ausländischen Währung festgesetzt sein, wobei es zum Zeitpunkt der Gründung der Gesellschaft (nach wie vor) einem Gegenwert von mindestens CHF 100'000.00 entsprechen muss. Der Bundesrat legt die zulässigen Währungen fest. Initial möglich sind Euro, U.S. Dollar, Yen und britisches Pfund. Ein Wechsel der Währung des Aktienkapitals ist mittels Statutenänderung auf Beginn eines Geschäftsjahres hin möglich. Damit wird das Aktienrecht auch mit dem geltenden Rechnungslegungsrecht harmonisiert. Dies gilt auch für die Gesellschaften mit beschränkter Haftung.

Um innert kurzer Frist neues Eigenkapital aufzunehmen, ist die ordentliche Kapitalerhöhung nicht geeignet. Bisher war es deshalb mittels einer genehmigten Kapitalerhöhung möglich, die entscheidenden Kompetenzen von der eher schwerfälligen Generalversammlung an den agileren Verwaltungsrat zu delegieren. Diese Bestimmungen über die genehmigte Kapitalerhöhung werden nun ersetzt mit dem Kapitalband. Mit dem neuen Instrument kann die Generalversammlung den Verwaltungsrat (mittels Statutenbestimmung) ermächtigen, während einer Dauer von längstens fünf Jahren das Aktienkapital innerhalb einer Bandbreite – eben dem Kapitalband – zu verändern. Dazu legt sie fest, innerhalb welcher Grenzen der Verwaltungsrat das Aktienkapital nicht nur erhöhen, sondern neu auch herabsetzen darf. Es ist auch möglich, den Verwaltungsrat bloss zu entweder einer Erhöhung oder einer Herabsetzung zu ermächtigen. Von der Möglichkeit der genehmigten Herabsetzung im Rahmen des Kapitalbandes können nur Gesellschaften profitieren, die nicht auf die eingeschränkte Revision verzichtet haben (Opting out). Der Gesetzgeber verspricht sich vom Kapitalband mehr Flexibilität für eigenkapitalfinanzierte Unternehmen. Da bei einer Herabsetzung des Aktienkapitals innerhalb des Kapitalbands aber die Bestimmungen zur Sicherstellung von Forderungen, zum Zwischenabschluss und zur Prüfungsbestätigung bei der ordentlichen Kapitalherabsetzung (im Wesentlichen wie bisher) sinngemäss anwendbar sind, wird sich weisen, ob sich dieses Instrument durchsetzen wird, oder ob das Kapitalband bloss vorwiegend für genehmigte Erhöhungen – analog zum geltenden Recht – verwendet werden wird. 

Darüber hinaus werden die Bestimmungen betreffend die (beabsichtigte) Sachübernahme ersatzlos gestrichen. Liberierung mittels Sacheinlage oder durch Verrechnung wird auch unter neuem Recht im Rahmen von Gründungen und Kapitalerhöhungen unverändert möglich bleiben. Das revidierte OR schafft zusätzlich Klarheit über die Voraussetzungen der Sacheinlagefähigkeit. Es regelt nun explizit, wann ein Vermögenswert Gegenstand einer Sacheinlage sein kann und damit für die Liberierung als Sacheinlage verwendet werden darf.

Auch was Ausschüttungen an die Aktionäre anbelangt, bringt das revidierte Aktienrecht zusätzliche Klarheit. Einerseits wird die bisherige bundesgerichtliche Rechtsprechung zu Ausschüttungen aus Agio nun kodifiziert und festgehalten, dass die gesetzliche Kapital(einlage)reserve an die Aktionäre zurückbezahlt werden darf, sofern die gesetzlichen Kapital- und Gewinnreserven, abzüglich des Betrags allfälliger Verluste, die Hälfte des im Handelsregister eingetragenen Aktienkapitals übersteigen. Andererseits wird nun gesetzlich geregelt, dass eine Zwischendividende unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist. Die Generalversammlung kann neu explizit gestützt auf einen Zwischenabschluss die Ausrichtung einer Zwischendividende beschliessen. Der Zwischenabschluss muss von der Revisionsstelle geprüft werden, ausser bei Verzicht auf die eingeschränkte Revision oder wenn sämtliche Aktionäre der Zwischendividende zustimmen.

Steigerung der Flexibilität bei der GV und für den VR

Sofern statutarisch vorgesehen, kann die Generalversammlung neu auch im Ausland durchgeführt oder virtuell abgehalten werden. Es wird ebenfalls möglich, dass die Generalversammlung an verschiedenen Orten gleichzeitig durchgeführt wird. Durch die Festlegung des Tagungsortes darf die Ausübung der Rechte für die Aktionäre jedoch nicht unsachgemäss erschwert werden. Es ist zudem dafür zu sorgen, dass die Voten der Teilnehmenden unmittelbar in Bild und Ton an sämtliche Tagungsorte übertragen werden. Für die Abhaltung im Ausland müssen börsenkotierte Gesellschaften einen Stimmrechtsvertreter bezeichnen, nicht börsenkotierte können darauf verzichten, wenn alle Aktionäre damit einverstanden sind. Auch bei der elektronischen Abhaltung der Generalversammlung müssen die börsenkotierten Gesellschaften einen Stimmrechtsvertreter bezeichnen, während nicht-börsenkotierte in den Statuten vorsehen können, dass darauf verzichtet wird. 

Der Verwaltungsrat kann sodann festlegen, dass Aktionäre, welche nicht vor Ort sind, ihre Rechte auf elektronischem Weg ausüben können. Neu dürfen Aktionäre ihre Beschlüsse auch schriftlich oder elektronisch fassen, sofern alle vertreten sind und keiner eine mündliche Beratung verlangt. Auch dem Verwaltungsrat steht es neu frei, Beschlüsse unter Verwendung elektronischer Mittel (oder natürlich wie bisher schriftlich) zu fassen, wenn keine mündliche Beratung verlangt wird. 

Stärkung der Aktionärsrechte

Mit dem revidierten Recht werden Aktionärsrechte – insbesondere diejenigen von Minderheitsaktionären – gestärkt.

Bisher konnten Aktionäre ihr Auskunftsrecht nur an der Generalversammlung ausüben. Neu können bei nicht kotierten Gesellschaften Aktionäre, die zusammen mindestens 10% des Aktienkapitals oder der Stimmen vertreten, vom Verwaltungsrat jederzeit schriftlich Auskunft über die Angelegenheiten der Gesellschaft verlangen, soweit dies – wie bisher – für die Ausübung der Aktionärsrechte erforderlich ist und soweit keine Geschäftsgeheimnisse oder andere schutzwürdige Interessen der Gesellschaft gefährdet werden. Unter den gleichen Voraussetzungen wurde auch der Zugang zu Geschäftsbüchern und Akten vereinfacht. Diese können von Aktionären, die zusammen mindestens 5% des Aktienkapitals oder der Stimmen vertreten, eingesehen werden.

Im gleichen Atemzug wurde auch das Recht auf Sonderprüfung, die neu Sonderuntersuchung genannt wird, vereinfacht. Einerseits wurde für börsenkotierte Gesellschaften die Schwelle von 10% des Aktienkapitals auf 5% gesenkt (für nicht kotierte Gesellschaften verbleibt diese bei 10%), andererseits müssen Aktionäre, die bei Ablehnung des entsprechenden Antrages durch die Generalversammlung gerichtlich die Anordnung einer Sonderuntersuchung verlangen, keinen Schaden mehr glaubhaft machen. Vielmehr genügt es, wenn die in Frage stehende Verletzung geeignet ist, die Gesellschaft oder Aktionäre zu schädigen. Damit wird das Instrument der Sonderuntersuchung zukünftig auch präventiv eingesetzt werden können.

Schliesslich werden die Rechte von (Minderheits-)Aktionären weiter gestärkt, indem – v.a. bei kotierten Gesellschaften markant – die Schwellenwerte für die Einberufung sowie für das Traktandierungs- und Antragsrecht gesenkt werden. Auch inhaltlich sind die Anforderungen an die Verhandlungsgegenstände und die Einladung gestiegen, etwa dadurch, dass die Einheit der Materie gewahrt werden muss und der Verwaltungsrat den Aktionären alle für die Beschlussfassung relevanten Informationen vorlegt. 

Überschuldung der Gesellschaft und Abschaffung des Konkursaufschubs

Die Revision bringt auch mit Blick auf die Gesellschaft in finanziellen Schwierigkeiten einige nennenswerte Neuerungen. Neu verpflichtet das Gesetz den Verwaltungsrat ausdrücklich zur Überwachung der Zahlungsfähigkeit und damit der Liquidität. Soweit erforderlich muss er bei drohender Zahlungsunfähigkeit Sanierungsmassnahmen treffen (oder, je nach Kompetenz, solche der Generalversammlung vorschlagen) und nötigenfalls ein Gesuch um Nachlassstundung einreichen. 

Auch betreffend Kapitalverlust und Überschuldung werden die Pflichten des Verwaltungsrats angepasst und präzisiert. Bei einem (hälftigen) Kapitalverlust muss der Verwaltungsrat nicht mehr unverzüglich eine Generalversammlung einberufen, sondern – mit der gebotenen Eile – vor allem selbst handeln und Massnahmen zur Beseitigung des Kapitalverlusts ergreifen. Insbesondere muss diesfalls die Jahresrechnung vor ihrer Genehmigung durch die Generalversammlung einer eingeschränkten Revision durch einen zugelassenen Revisor unterzogen werden. Dies auch dann, wenn die Gesellschaft keine Revisionsstelle hat. Bei begründeter Besorgnis einer Überschuldung ist – nach wie vor – unverzüglich ein Zwischenabschluss zu erstellen, wobei präzisiert wird, wann dieser sowohl zu Fortführungs- als auch zu Veräusserungswerten zu erstellen ist, oder wann es genügt, nur einen der beiden zu erstellen. Der Zwischenabschluss ist zu prüfen. Steht auf dieser Basis die Überschuldung fest, so ist – wie bisher – grundsätzlich die Bilanz zu deponieren. Das revidierte Recht regelt nun aber explizit, wann das unterbleiben kann. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn begründete Aussicht besteht, dass die Überschuldung innert angemessener Frist, spätestens aber 90 Tage nach Vorliegen der geprüften Zwischenabschlüsse, behoben werden kann und die Forderungen der Gläubiger durch das Zuwarten nicht zusätzlich gefährdet werden.

Der Konkursaufschub wird durch die Revision gänzlich abgeschafft.

Handlungsempfehlungen 

Die Revision enthält diverse Änderungen, welche auch die Statuten, das Organisationsreglement oder allfällige Aktionärbindungsverträge betreffen können. Es ist deshalb ratsam, diese Dokumente zu prüfen und gegebenenfalls zu aktualisieren. Weiter sollten über Jahre eingespielte Mechanismen betreffend die Durchführung von Generalversammlungen und Verwaltungsratssitzungen allenfalls aktualisiert werden. Dabei ist es mitunter sinnvoll, von der zusätzlichen Möglichkeit dezentraler, schriftlicher oder elektronsicher Beschlussfassung Gebrauch zu machen. 

Schliesslich werden Verwaltungsräte sich mit ihren aktualisierten Pflichten auseinandersetzen müssen, insbesondere für den Fall, dass die Gesellschaft in finanzielle Schieflage geraten sollte.